JUMS trifft … Maria Huber

JUMS veröffentlicht nicht nur – wir recherchieren auch.

Regelmäßig treffen wir unsere JUMS-Autoren, aber auch Professoren und Wissenschaftler, unterhalten uns über deren Abschlussarbeiten und bitten diese um wichtige Tipps zum Schreiben von Abschlussarbeiten.

Heute haben wir uns mit Maria Huber von der Ludwig-Maximilians-Universität München getroffen, deren Bachelorarbeit „On the Analysis of Moral Hazard Using Experimental Studies “ in der 17. Ausgabe von JUMS veröffentlicht wurde.

Steckbrief: Maria Huber

Titel der Arbeit:

On the Analysis of Moral Hazard Using Experimental Studies

Art der Arbeit, Hochschule:

Bachelorarbeit, Ludwig-Maximilians-Universität München

Aktuelle Tätigkeiten:

Masterstudentin

JUMS Ausgabe:

Junior Management Science 5(4), 2020, S. 410-428

Artikel-Seite:

jums.academy/m-huber/

Interview

JUMS: Liebe Maria, Deine Bachelorarbeit dreht sich um den Begriff „Moral Hazard“. Kannst Du kurz erklären, was dieser Begriff bedeutet?

Maria Huber: Der Begriff bedeutet übersetzt „moralisches Risiko“ und hat seinen Ursprung im Versicherungswesen. In diesem Kontext meint der Begriff versicherungsinduzierte Verhaltensänderungen von Individuen: Ein Individuum mit (höherem) Versicherungsschutz hat schwächere Anreize, Schäden zu vermeiden, da mögliche Schäden ja im Schadenfall gedeckt sind. Es werden also weniger Anstrengungen unternommen, solche Schäden zu vermeiden. Ein beispielhaftes Szenario wäre der Abschluss einer Diebstahlversicherung für ein neues Fahrrad, woraufhin man sich für das günstigste und damit möglicherweise für das am einfachsten zu knackende Schloss entscheidet.

Da Moral Hazard jedoch nicht nur in Versicherungsmärkten ein Thema ist, impliziert der Begriff allgemein die Tendenz, weniger Anstrengungen zur Kostenreduzierung zu unternehmen, wenn die negativen Konsequenzen des Handelns nicht von einem selbst getragen werden müssen.

In meiner Arbeit habe ich zwischen zwei Arten von Moral Hazard unterschieden: Moral Hazard ersten und zweiten Grades. Die erste Form bezieht sich auf die gerade geschilderte Definition. Moral Hazard zweiten Grades hingegen, bezieht sich auf Dritte, die ihr Verhalten aufgrund des Versicherungsschutzes ihrer Kunden ändern. Diese Form beschreibt also die Tendenz von Anbietern, den Preis oder den Umfang einer Leistung zu erhöhen, weil die Nachfrageseite weniger preissensibel ist. Dies ist an einem Beispiel leichter zu erklären. Nehmen wir an, Sie nehmen ein Taxi zum Flughafen und erwähnen zu Beginn der Fahrt, dass Sie am Ende eine Quittung bräuchten, da ihr*e Arbeitgeber*in die Kosten für die Fahrt übernehmen würde. Dem/der Taxifahrer*in ist also bewusst, dass nicht Sie selbst die Kosten tragen und fährt – um den eigenen Gewinn zu maximieren – einen Umweg oder berechnet Zuschläge.

JUMS:Warum ist Moral Hazard problematisch und gibt es da vielleicht Bezüge zur Corona-Pandemie?

Maria Huber: Die Problematik ergibt sich bereits aus der oben genannten Definition des Begriffs. Wenn die handelnde Partei nicht diejenige ist, welche auch die möglichen negativen Konsequenzen für dieses Handeln tragen muss, dann gibt es für diese Partei auch keine (oder zumindest weniger) Anreize, diese negativen Konsequenzen auch zu verhindern.

Ich würde schon behaupten, dass es Bezüge zur Corona-Pandemie gibt. Um ein Beispiel zu nennen: Ich hatte des Öfteren und besonders zu Beginn der Pandemie gehört oder gelesen, dass sich manche Menschen fragen, warum sie sich in ihrem Alltag einschränken sollten (z.B. weniger Leute treffen), wenn sie doch selbst nicht zur Risikogruppe gehörten und für sie demnach auch keine große Gefahr bestünde. Das Problem aber ist, dass diese Menschen das Virus weiterverbreiten können (in manchen Fällen sogar, ohne es zu merken) und dann die Risikogruppen diejenigen sind, welche die schwerwiegenden negativen Konsequenzen davontragen.

JUMS: Du hast Dich in Deiner Bachelorarbeit dafür entschieden, den Themenkomplex mithilfe experimenteller Studien zu erkunden. Wie bist Du dabei vorgegangen und welche Experimente fandest Du besonders einprägsam und beeindruckend?

Maria Huber: Zuerst einmal war es wichtig, sich einen Überblick über das Thema zu verschaffen. Bei meinen Recherchen hat sich dann herausgestellt, dass sich die Studien in die zwei oben genannten Formen von Moral Hazard gliedern lassen. Danach habe ich meine Arbeit dann ausgerichtet. Für das Thema meiner Arbeit war es zudem von Bedeutung, mich auf die neusten Erkenntnisse und damit auf möglichst aktuelle experimentelle Studien zu beziehen. Da ein Ziel der Arbeit war, den Leserinnen und Lesern einen guten Einstieg in das Thema zu vermitteln und da Moral Hazard ein sehr breites Themenfeld darstellt, hatte ich mich dazu entschlossen, Studien mit unterschiedlichen Kontexten zu untersuchen – auch, um möglicherweise unterschiedliche Gründe für das Auftreten, sowie Ansätze zur Eliminierung oder Abschwächung von Moral Hazard zu finden. Außerdem habe ich versucht, sowohl Labor- als auch Feldexperimente miteinzubeziehen. Auf Grund eigener Erfahrungen mit sogenannten „free ridern“ in Gruppenprojekten, ist mir insbesondere das Experiment bezüglich Moral Hazard im Kontext von Arbeiten in Teams im Gedächtnis geblieben.

JUMS: Welche Schlussfolgerungen haben sich für Dich aus Deinen Studien ergeben? Gibt es bemerkenswerte Ausnahmen im Auftreten von Moral Hazard?

Maria Huber: Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Moral Hazard ein bedeutendes Problem in vielen Märkten ist. Es wurde festgestellt, dass Moral Hazard ersten Grades zusammen mit finanziellen Anreizen für Dienstleister, sich betrügerisch zu verhalten, zu Moral Hazard zweiten Grades führte. Wenn Taxifahrer sich des Moral-Hazard-Problems zwischen dem Fahrgast und seinem Arbeitgeber bewusst waren (da der Fahrgast erwähnte, dass die Kosten für die Fahrt der Arbeitgeber tragen und daher eine Quittung benötigt würde), waren sie eher dazu geneigt, hohe Preise zu verlangen. Diesen Effekt zeigte auch eine andere Studie: Ärzte, die an den Arzneimittelausgaben ihrer Patienten beteiligt wurden, schrieben 43 % teurere Rezepte an Versicherte, als an Nicht-Versicherte.

Eine weitere Erkenntnis war, dass Moral Hazard auftritt, wenn Teammitglieder entsprechend ihrer gemeinsamen Leistung bezahlt werden. Zudem zeigte ein Experiment, je höher der Versicherungsschutz eines Probanden war, desto weniger wurde für den Schutz vor Verlusten aufgewendet. Wenn aber immer zwei Personen versichert wurden, stieg der Selbstschutz.

Eine bemerkenswerte Ausnahme ist, dass Moral Hazard bei der Versicherung gegen Naturkatastrophen mit geringen Schadenswahrscheinlichkeiten weniger problematisch zu sein scheint. Versicherungsprämienabschläge und höhere Schadenserwartungen erhöhten die Investitionen von Hausbesitzern in Maßnahmen zur Schadensminderung bzw. -vorbeugung. Zudem gibt es weitere Faktoren, unter welchen Moral Hazard nicht oder in schwächerer Form aufgetreten ist. Auf diese gehe ich aber in einer der nächsten Fragen noch ein.

JUMS: In der Corona-Pandemie müssen sich viele Leute zum Wohle der Allgemeinheit einschränken. Ist Moral Hazard nicht nur im Bereich der Märkte, sondern auch gesamtgesellschaftlich ein Phänomen, dem die Pandemie nahrhaften Boden gibt? Wie betrachtest Du die Pandemie hinsichtlich Deiner Erkenntnisse über den Opportunismus von Menschen?

Maria Huber: Dem würde ich zustimmen. Auf dieses Thema bin ich vorhin schon kurz eingegangen. Ich glaube nicht, dass Moral Hazard nur im Bereich der Märkte ein Phänomen ist, welchem die Pandemie nahrhaften Boden gibt, sondern eben auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Die mit der Erkrankung einhergehenden Kosten werden ja nicht unbedingt von der Person getragen, die sich risikofreudig verhält.

Jüngere Menschen leiden seltener unter schwerwiegenden Symptomen einer COVID-19-Infektion. Jedoch können sie von anderen Aspekten der Pandemie betroffen sein (z.B. wenig soziale Interaktion, berufliche Probleme). Daher könnten jüngere Menschen die Kosten für die Einhaltung von Maßnahmen als höher und den erwarteten Nutzen dieser Maßnahmen als geringer einschätzen als ältere Personen. Folglich haben diejenigen, die den geringsten Nutzen aus den Maßnahmen ziehen und große persönlichen Kosten für die Einhaltung dieser Maßnahmen auf sich nehmen, einen mangelnden Anreiz, die Maßnahmen auch zu befolgen.

JUMS: Gibt es Lösungsansätze, wie Moral Hazard vermieden oder gar eliminiert werden kann?

Maria Huber: Mögliche Lösungsansätze, um diesem Problem entgegenzuwirken, gibt es tatsächlich. Eines der Experimente hat beispielsweise gezeigt, dass die Eliminierung von persönlichen Anreizen für Anbieter helfen kann, Moral Hazard zweiten Grades zu verhindern. Zudem kann Wettbewerb zwischen Anbietern den Effekt abschwächen. Auch Abschläge auf Versicherungsprämien haben sich in einem Experiment als wirksam gezeigt.

Wie bereits erwähnt, war Moral Hazard vorhanden, wenn Teammitglieder entsprechend ihrer gemeinsamen Leistung vergütet wurden. Die Möglichkeit, die Tätigkeiten der anderen Teammitglieder zu beobachten (peer-monitoring) und damit zu wissen, dass man gerade selbst beobachtet werden könnte, führte dazu, dass die Leistung der Probanden unter Teamanreizen genauso hoch war wie unter Einzelanreizen. In einem Versicherungskontext konnten zudem prosoziale Präferenzen als Lösungsansatz gefunden werden. Dies bedeutet, dass das Wohlergehen der mitversicherten Person in die Entscheidung miteinfließt, ob man Maßnahmen gegen mögliche Verluste trifft oder nicht.

JUMS: Wie kam es dazu, dass Du Deine Bachelorarbeit bei JUMS eingereicht hast?

Maria Huber: Ich hatte von JUMS erst nach Beendigung meines Bachelor-Studiums erfahren. Seit dem Beginn der Bearbeitungszeit meiner Arbeit war schon ein Jahr vergangen und meine Erkenntnisse waren – auch für mich – schon fast in Vergessenheit geraten. Umso mehr hat es mich dann gefreut, als ich von JUMS erfahren habe. Ich sah eine Möglichkeit, dass meine Bachelorarbeit doch nicht im Universitäts-Archiv verstauben würde und andere Menschen auf dieses Thema aufmerksam machen könnte. So fiel mir die Entscheidung, meine Arbeit einzureichen, auch nicht schwer. Nur so hatte ich die Chance auf eine Publikation und bin heute sehr froh darüber, JUMS entdeckt und diese Entscheidung getroffen zu haben.

JUMS: Wie kam es dazu, dass Du Deine Bachelorarbeit bei JUMS eingereicht hast?

Maria Huber: Dem würde ich zustimmen. Auf dieses Thema bin ich vorhin schon kurz eingegangen. Ich glaube nicht, dass Moral Hazard nur im Bereich der Märkte ein Phänomen ist, welchem die Pandemie nahrhaften Boden gibt, sondern eben auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Die mit der Erkrankung einhergehenden Kosten werden ja nicht unbedingt von der Person getragen, die sich risikofreudig verhält.

JUMS: Du studierst nun im Master „Media, Management, and Digital Technologies“ an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Wie sehen Deine weiteren Zukunftspläne aus? Möchtest Du in der Academia bleiben?

Maria Huber: Ja, das ist richtig. Eine Zukunft im akademischen Umfeld könnte ich mir generell schon vorstellen. Die wissenschaftliche Arbeit bereitet mir viel Spaß. Konkrete Pläne oder Vorstellungen habe ich dahingehend aber noch nicht. Ich bin gespannt, wo mich mein beruflicher Weg hinführen wird. In naher Zukunft steht für mich aber erst einmal die Anfertigung meiner Masterarbeit an.

JUMS: Zum Abschluss des Gesprächs gibt es bei uns immer einen kleinen Ergänzungssatz, den wir Dich bitten würden, zu vervollständigen: “Eine Abschlussarbeit zu schreiben, bedeutete für mich…”

Maria Huber: „… sich sehr intensiv auf ein bestimmtes Thema einzulassen.“

Vielen Dank für diese spannenden Einblicke und für Deine Zeit, liebe Maria. JUMS wünscht Dir viel Erfolg für die Zukunft und wir würden uns sehr freuen, auch in der Zukunft wissenschaftliche Arbeiten von Dir zu lesen!